Die nachfolgenden Verweise auf Artikel, Videos und andere Quellen sind der Natur nach unvollständig. Vieles aus jener Zeit ist verloren gegangen oder verstaubt in Papierform in den wenigen linken Archiven. Trotzdem hoffe ich, damit das Gedenken und Innehalten, das kritische Reflektieren, das Einordnen der im Buch geschilderten Ereignisse etwas erleichtern zu können. Besonders für jene, die diese Zeiten nicht erlebt haben. Ein besonderes Anliegen ist es mir, an all jene zu erinnern, die ihr Leben verloren haben. Die im Knast oder auf der Strasse umgekommen sind. Die von Nazis umgebracht wurden oder einfach zerbrochen sind an der Brutalität der Verhältnisse.





Erster Teil - 1980er Jahre


Kapitel "Eins" - Mai 1989

Am 1. Mai 1989 toben in Kreuzberg die heftigsten Strassenschlachten, die Westberlin je erlebt hat. Während der revolutionären 1. Mai Demonstration, die durch Kreuzberg und Neukölln führt, werden die Schaufensterscheiben von zahlreichen Geschäften eingeworfen, es kommt zu Plünderungen. Am Nachmittag beginnen rund um den Lausitzer Platz heftige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, die bis weit in die Nacht andauern.



Kapitel "Zwei" - Juli 1980

Der CSU Vorsitzende Franz Josef Strauß wird Kanzlerkandidat der CDU/CSU. Dies sorgt bundesweit für Proteste. Bei einer Demonstration am 25. August in Hamburg gegen einen Auftritt von Strauß bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU wird Olaf Ritzmann getötet. Die Bullen hatten den Bahnhof Sternschanze unter massiven Knüppeleinsatz gestürmt. Zahlreiche Menschen, darunter auch Olaf Ritzmann, flüchteten auf die Gleise. Dort wurde er von einem einfahrenden Zug erfasst und tödlich verletzt.


In Berlin demonstrieren mehrere zehntausend Menschen gegen die Kanzlerkandidatur von Strauß. Nach der offiziellen Demo ziehen mehrere hundert Menschen weiter in Richtung Theodor Heuss Platz. Als die Bullen eingreifen, gehen Fensterscheiben von Banken zu Bruch, es kommt zu Prügeleien und Festnahmen.



Kapitel "Drei" - Oktober 1980

In Kreuzberg sind Anfang Oktober 1980 mittlerweile über ein dutzend Häuser besetzt. Es hat sich ein Besetzerrat gebildet. Im Rahmen einer Aktionswoche findet eine Demonstration statt, an der sich 2000 Menschen beteiligen. Es kommt zu (überschaubaren) Auseinandersetzungen mit den Bullen, bei einigen Banken gehen Scheiben zu Bruch.



Kapitel "Vier" - Mai 1989

Die revolutionäre 1. Mai Demonstration findet in diesem Jahr zum zweiten Mal statt. Initiert von Gruppen aus dem autonomen Spektrum, ist es der Versuch, die Revolte des 1. Mai 1987 (siehe weiter unten) in eine politische Sphäre zu transformieren.



Kapitel "Fünf" - Dezember 1980

In Kreuzberg kommt es am 12.12. zu Strassenschlachten, nachdem die Bullen am späten Nachmittag eine Neubesetzung am Fränkelufer verhindern. Im Laufe der Abends beteiligen sich immer mehr Menschen, darunter etliche nicht der "Szene" zugehörige Anwohner an den Aktionen. Es werden überall Barrikaden gebaut und Geschäfte geplündert, die Bullen bekommen trotz ständig nachrückender Hundertschaften die Situation über Stunden nicht in den Griff. Am darauffolgenden Tag demonstrieren um die tausendfünfhundert Leute auf dem Kurfüstendamm, auch hier kommt zu Kämpfen mit den Bullen und zahlreichen kaputten Fensterscheiben. Der 12.12. gilt als "Geburtsdatum" der Westberliner Hausbesetzerbewegung.



Kapitel "Sechs" - Mai 1989

Über den 1. Mai 1989 gibt es viele Geschichten. Dass die Bullen trotz akribischer Vorbereitung und ausreichender Mannschaftsstärke so sehr die Kontrolle über das Geschehen verloren haben, ist für manche offensichtlich nur dadurch erklärbar, dass die Bullenführung den frisch gebildeten Senat von SPD und Alternative Liste auflaufen liess. Jenseits der Notwendigkeit, einen hochgerüsteten Repressionsapperat nicht für allmächtig zu halten, liefert ein Bericht der Zeitschrift CILIP nichts desto trotz interessante Einsichten.



Kapitel "Sieben" - Februar 1980

Der berühmte Westberliner Gesamtbesetzerrat... (In einigen Bezirken, in denen es viele besetzte Häuser gab, trafen sich auch noch die Besetzer aus dem jeweiligen Bezirk unter sich). Wer dabei war, hat seine ganz eigenen, subjektiven Erinnerungen. Auf jeden Fall war es immer hochemotional und existenziell, sprich das Leben selbst pochte an.



Kapitel "Acht" - April 1980

Sigurd Debus beteiligte sich am Hungerstreik der Gefangenen aus der Rote Armee Fraktion, der am 11.Februar 1981 begann. Er wurde zeitweise zwangsernährt, die Umstände seines Todes sind strittig. Er starb am 14. April, allerdings kursierten schon drei Tage vorher Informationen, dass er tot sei. Daraufhin kam es in verschiedenen Städten zu militanten Aktionen, in Berlin wurde bei einer Spontandemo auf dem Kurfürstendamm erheblicher Sachschaden angerichtet.



Kapitel "Neun" - Juni 1981

Der Winterfeldplatz in Schöneberg. Heute eine Hochburg der Ökospießer. War Anfang der 80iger neben Kreuzberg die Hochburg der "Bewegung". Außerdem Heimat zahlloser Etablissements, in denen sich Aussteiger, Junkies, Hausbesetzer, Trinker und sonstiges Volk die Klinke in die Hand gaben. Die "Ruine" war die schäbigste und damit schönste Kneipe weit und breit. Die "Leere des Urbanismusund die Leere des Spektakels" hat an Aktualität nichts eingebüsst und stammt wie viele andere Situationsbeschreibungen der Postmoderne von der Situationistischen Internationalen. Und aus Italien kommt nicht nur das Ding mit "dolce vita" samt guten Wein und Essen, sondern auch das Ding mit der "autonomia":



Kapitel "Zehn" - Juli 1981

Der Knast ist heutzutage für die meisten linken "AktivistInnen" ein ferner, exotischer Ort. Wenn es mal den einen oder die eine erwischt, tingeln einige Wenige pflichtbewusst vor die Mauern des örtlichen Gefängnisses, um dort ebenso handzahm, wie sonst auch zu den traditionellen Silversterkundgebungen, Texte zu verlesen. Dies war Anfang der 80iger anders. Verprügelt und eingesperrt zu werden war ein tagtägliches Risiko für die "Kinder der Bewegung". Gerade in Berlin. Selbstverständlichst wandelte man Tag für Tag in kleinen Gruppen durch die weitläufigen Flure des Kriminalgerichts Moabit, prügelte sich mit den Justizbeamten und speiste zur Mittagsstunde in der dortigen Kantine. Man saß ein und wurde besucht oder besuchte Einsitzende. Knastgruppen gab es viele und Demos vor den Mauern der Knäste waren meist besonders gut besucht. Merkwürdiger oder bezeichenerweise gibt es dazu aber so gut wie keine Spuren im Netz. An dieser (Leer) Stelle bleibt das Wort dem jungen Al Pacino überlassen.



Kapitel "Elf" - September 1981

Der 22.09. mit der Räumung von acht besetzten Häusern und dem Tod von Klaus Jürgen Rattay bedeutete den Anfang vom Ende der Westberliner Hausbesetzerbewegung. Über Klaus Jürgen Rattay sagte sein Vater später in einem bewegenden Interview: "Er wollte frei sein, er hat alles richtig gemacht".



Kapitel "Zwölf" - Juni 1982

"Der 11.06". Die "Schlacht am Nolli" anlässlich des Besuchs des US Präsidenten in der Stadt. Ein letztes Mal bäumt sich "die Bewegung" auf. Mit der Unterstützung von hunderten Gleichgesinnten aus anderen Städten werden die Bullen massiv militant angegangen, nachdem sie über dreitausend Menschen u.a. mit Stacheldrahtverhauen am Nollendorfplatz eingekesselt haben. Nach dem 11.06. gelingt es bis zum 1. Mai 1987 nicht mehr, eine massenhafte militante Praxis auf den Strassen Berlins zustande zu bringen. Nach dem 11.06. ziehen sich auf der einen Seite immer mehr Leute zurück, andere suchen nach einer neuen Orientierung und finden sie teilweise im Internationalismus und Antiimperialismus.



Kapitel "Dreizehn" - September 1982

Die Sache mit der organisierten Militanz. Anfang der 80iger kursieren in der Szene Bauanleitungen für Brand- und Sprengsätze so selbstverständlich wie heutzutage Tips für Botox Behandlungen in der Münchener Schickeria. Der Schritt vom Stein aufheben zum Deponieren von Brand- oder Sprengsätzen ist für viele ein naheliegender. Nicht nur, aber besonders die Anhänger des "Frontkonzepts" (s.o) schreiten bundesweit zu dieser Praxis. So kommt es während des Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF vom 4.12.1984 – 3.2.1985 zu an die hundert Anschlägen mit Brand- oder Sprengsätzen. Bei einer dieser Aktionen starb Johannes Thimme.



Kapitel "Vierzehn" - Juli 1981

Das legendäre Prinzenbad. Die taz widmet ihm einen blog und drei Kreuzberger Göhren haben nicht nur dort Spaß und Stress und eine große Klappe (Ich komm aus Kreuzberg du Muschi). Was soll zu Jean Pierre Melville noch gesagt werden, so viele haben ihn adaptiert.



Kapitel "Fünfzehn" - Oktober 1983

Kein Sklave des Weckers sein. Wer will das nicht. Aber was muss man bereit sein dafür zu riskieren? Jacques Mesrine riskierte alles und es kostete ihn das Leben. Am 2. November 1979 trafen ihn 19 Kugeln aus den automatischen Waffen der Bullen mitten in Paris, ohne das er eine Chance zur Aufgabe oder Gegenwehr hatte. Die US Invasion Grenadas war mangels ernstzunehmender Gegner eher ein Manöver als eine Krieghandlung und rief in der BRD keine nenneswerte Proteste hervor.



Kapitel "Sechzehn" - Mai 1989

Die EbLT (Einsatzbereitschaft besondere Lagen/ Training) war der wahnsinnigste Schlägerhaufen, den der westdeutsche Bullenapparat jemals hervor gebracht hat. Aufstandsbekämpfungsstrategien gibt es, seitdem es Aufstände gibt. Seit den Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts in wissenschaftlicher Form. Thompson und Trinquier waren zwei wichtige Protagonisten. Außerdem noch der Hinweis auf einen Bericht aus der Zeit, basierend auf interne Papiere der Bullen. Die Wertung muss man nicht nachvollziehen. Und Tomas Lecorte gebürt die Ehre, den "längsten 1. Mai Nachbereitungstext aller Zeiten" geschrieben zu haben.



Kapitel "Siebzehn" - Januar 1984

Das Westberliner "Kant Kino" war Ende der Siebziger bis Anfang der Achtziger der heisseste Ort der Stadt für Rock'n Roll. Von Blodie bis Ultravox trat hier alles auf, was man gehört und gesehen haben musste. Im Kino "Studio" gab es keinen Rock'n Roll, aber dafür bis tief in die Nacht, am Wochenende sogar bis zum frühen Morgen, Kinovorstellungen. BFBS war eigentlich ein Radiosender für die britischen Truppen in der BRD, wurde aber in Berlin von allen gehört, denen die damaligen ein, zwei Stunden Pop und Rock am Tag bei den öffentlich- rechtlichen Radioanstalten nicht ausreichten.



Kapitel "Achtzehn" - März 1986

Die Mauer gibts es ja bekanntermaßen nicht mehr, den Kinderbauernhof an der Adalbertstraße aber sehr wohl noch. 86/87 war seine Existenz bedroht, was zahlreiche Proteste zur Folge hatte, natürlich auch mal handfest mit umgeworfenen Bauwagen und Pflastersteine für die Staatsmacht. Das Quartier Latin heisst jetzt Wintergarten und ist Schauplatz für Belanglosigkeiten.



Kapitel "Neunzehn" - Juni 1986

Seit dem "Einstieg in den Ausstieg" ist die Atomkraft kein großes Thema mehr für gesellschaftlichen Widerstand, außer es werden Castorbehälter nach Gorleben gefahren. Die EU und die G7 Staaten pumpen Milliarden in die Ukraine, damit der Tschernobyl-Sarkophag weiter gebaut wird, während die überlebenden Liqidatoren mit geringfügigen Renten abgespeist werden, die vorne und hinten nicht reichen. Der Konvoi 1986 nach Brokdorf wurde von den Bullen aufs übelste auseinander genommen. Gerüchte besagen, einige vorlaute Berliner seien daran nicht unschuldig, weil sie ohne weitere Absprache mit dem Rest des Konvois die Bullen frontal angegangen sind. Am darauffolgenden Tag wurden über 800 Menschen über viele Sunden eingekesselt bei dem Versuch, gegen das Vorgehen der Bullen zu demonstrieren.



Kapitel "Zwanzig" - Dezember 1986

"Der Hafen", laut Hamburger Verfassungschutzchef Lochte hockte da die RAF, die Anwohner dürften im Alltag vor allem das Treiben auf den Balduintreppen und die spätabendlichen Konzerte wahrgenommen haben.



Kapitel "Einundzwanzig" - Mai 1987

Der 1. Mai in Kreuzberg. Heutzutage tobt an diesem Tag der Partymob durch die Oranienstraße und 15.000 Menschen ziehen alljährlich durch Berlin, die Parolen und Aufrufe beliebig austauschbar. In der Postmoderne ist alles vermarktbar, selbst die Erinnerung an den Aufstand eines Viertels mitten im Wohlstandsland BRD.



Kapitel "Zweiundzwanzig" - Mai 1987

Auf die soziale Revolte, den Exzess der Nacht folgt der politische Kater. Wie im richtigen Leben so auch im gesellschaftlichen. Erich Mühsam umgewidmet dem "Realo Flügel" der Westberliner Autonomen:



Kapitel "Dreiundzwanzig" - Mai 1987

Der Tod von Norbert Kubat in seiner Zelle in der Untersuchungshaftanstalt Moabit löst nur wenige Proteste und Aktionen aus. Das Kaufhaus Bilka am Kottbusser Damm brennt aus, eine überschaubare Demo, einige kaputte Fensterscheiben bei Banken. Die Frage bleibt, wäre es anders gewesen, wenn Norbert Kubat in der "Szene" wohlbekannt gewesen wäre? Ein Jahr später besetzten einige dutzend Leute ein Stück Land im Schatten der Mauer, das im Zuge eines Gebietstausches demnächst an den Westen übergehen soll. Sie benennen das Dreieck nach Norbert Kubat und sorgen so dafür, dass er nicht ganz vergessen wird. Hütten und Zelte werden errichtet, es kommt immer wieder zu heftigen Schlagabtauschen mit den Westberliner Bullen. Legendär ist die gemeinsame Flucht über die Mauer in Richtung Osten, als die Westbullen einrücken dürfen.



Kapitel "Vierundzwanzig" - Juni 1987

Ronald Reagan also das zweite Mal in Westberlin. Diesmal fällt die "Erfolgsbilanz" der Proteste weitaus bescheidener aus als fünf Jahre zuvor. Im Gedächnis bleiben wird nur seine Rede, in der er den Fall der Mauer vom sowjetischen Präsidenten fordert. Sowie die Abrieglung von Teilen von SO 36 durch die Bullen.



Kapitel "Fünfundzwanzig" - Oktober 1983

Als die Nachricht von den toten Bullen an der Startbahn West die Runde macht, sind die meisten in der Westberliner Szene geschockt. Weil es nie, bei aller Härte, darum geht, Bullen zu ermorden. Und weil niemand weiß, wie umfassend die Repression sein wird. Trotzdem gibt es auch einige, die das Geschehen abfeiern. In der Rhein Main Region fallen die Genossen und Genossinnen in den Verhören wie die Fliegen um. Unglaublich viele machen Aussagen bei den Bullen, obwohl ihnen selbst keine konkrete Beteiligung an den Schüssen vorgeworfen wird. Um diese Entwicklung zu stoppen, entsteht die "Anna und Arthur halten das Maul" Kampagne. Nur wenig später haben die Leute aus der Hafenstraße die Schnauze vom ständigen Bullenterror und rund um die Häuser werden Barrikaden errichtet, Tausende solidarisieren sich und eilen herbei.



Kapitel "Sechsundzwanzig" - September 1988

Die IWF Kampagne war wohl die am längsten vorbereitete Nummer in der Geschichte der undogmatischen Linken der BRD. Vorlaufzeit an die drei Jahre. Pech nur, dass den Leuten erst ein paar Monate vor der Tagung einfiel, dass wohlfeile Analysen nicht alles sind. So kam es zur berühmten "Schweige - Vollversammlung", auf der sich geschlagende 30 min lang angeschwiegen wurde. Die zentrale linksradikale Demo war ein Desaster, die Bullen schlugen im Frontblock alles kurz und klein und zogen nach Belieben Leute raus. In Ermangelung eigener Planungen zog mensch Abend für Abend zum Kudamm, um an den Aktionen der "Spassfraktion" teilzunehmen. Die eine oder andere Scheibe ging bei dieser Gelegenheit zu Bruch, dass war es aber auch schon im wesentlichen. Im Gegenzug wurden jeden Tag hunderte von Leuten von den Bullen einkassiert.



Kapitel "Siebenundzwanzig" - Juni 1989

Die Auseinandersetzung mit einigen Repräsentanten des alternativen Milieu spitzt sich zu. Im Zuge dessen werden desöfteren auch die Autos bekannter Repräsentanten des neugrünen Bürgertums in Brand gesteckt. Wer diesen Machtkampf gewonnen hat, kann man heute ausgiebig im ordentlich aufgemotzten Kreuzberg bestaunen. Zum Thema Verhandlerschweine: Hans Panhoff, grüner Baustadtrat von Kreuzberg, eine der widerlichsten Figuren, die sich 2014 gegen die Flüchtlinge in der besetzten Schule in der Ohlauer Straße positioniert hat, wohnt seit 35 Jahren im "Kerngehäuse". Eines der ersten bestzten Häuser in Kreuzberg, dass berühmte "Käseglockenmodell" (s.o.) stammt daher. Es wächst zusammen, was zusammen gehört.





Zweiter Teil - 1990er Jahre


Kapitel "Achtundzwanzig" - November 1989

Es gab einige in der Szene in Westberlin, die sich im Herbst 1989 brennend für die Entwicklung in der DDR interessierten. Sie waren eine Minderheit. Punkt.



Kapitel "Neunundzwanzig" - April 1990

Wer sich auf die Suche nach dem wahren Leben, jenseits der Ideologie, macht, findet immer Gleichgesinnte. Der Rest muss sich auch mit der Realität auseinandersetzen.



Kapitel "Dreissig" - Juni 1990

Die Nazis waren ein echtes Problem, allerdings haben sie Anfang der Neunziger in Ostberlin auch ziemlich häufig was auf die Fresse bekommen. Die besetzten Häuser in der Mainzer Strasse waren ziemlich zentral für die Bekämpfung der Faschisten. Hier war es jederzeit möglich, viele Leute zusammen zu bekommen, um loszuziehen. Etliche spontane Antworten auf Naziangriffe gingen von hier aus. Es war schnell klar, dass das Haus in der Weitlingstraße zentral für das Agieren der Nazis ist, aber alle erstzunehmenden Planungen, wie man das Haus stürmen oder unbewohnbar machen könne, sind im Sand verlaufen.



Kapitel "Einunddreissig" - Oktober 1990

Tag der "Wiedervereinigung". 15.000 ziehen vom Kreuzberger Oranienplatz zum Alex. Die Bullen greifen immer wieder an, also gibt es stundenlange Randale. Viele Ostberliner, die zum Alex zum Feiern gekommen sind, beteiligen sich an dem Krawall. Nur eine geschichtliche Randnotiz, aber immerhin. Mehr war nicht drin. "Freygang" und "Die Firma" spielten auf, mussten aber ihr Konzert aufgrund der Bullenangriffe abbrechen.



Kapitel "Zweiunddreissig" - November 1990

"Die Mainzer". Teil 1. Geschichten über Geschichten, Mythen über Mythen. Einige sind erzählt oder aufgeschrieben, hoffentlich kommen noch mehr.



Kapitel "Dreiunddreissig" - November 1990

"Die "Mainzer". Teil 2.



Kapitel "Vierunddreissig" - Januar 1991

Der "zweite" Golfkrieg brachte die Zuspitzung der Konflikte in der Linken. Wie positioniert man sich zum Beschuss israelischer Städte durch das irakische Militär und was ergibt sich daraus. Konkret Herausgeber Gremliza forderte Solidarität mit der US geführte Allianz gegen den Irak ein, während der andere Flügel der Linken es eher mit "Kein Blut für Öl" hielt.



Kapitel "Fünfunddreissig" - Januar 1992

Gerd Albertus ist tot. Ermordet von "den eigenen Leuten". Vier Jahre später, 1992, veröffentlicht eine "Revolutionären Zelle" einen Text, in dem sie diesen barbarischen Akt benennt und die eigene Geschichte selbstkritisch reflektiert. In der Folge werden weitere Texte von anderen Zellen veröffentlicht, dieser Ansatz antagonistischer Politik neigt sich seinem Ende zu.



Kapitel "Sechsunddreissig" - August 1992

Das Pogrom in Rostock Lichtenhagen legt auch Zeugnis ab über die Unfähigkeit der radikalen Linken, in das Geschehen, dass sich über Tage hinzog, praktisch zu intervenieren. Nur wenige hundert Leute fanden in diesen Tagen den Weg nach Rostock. Zu wenige, um etwas ausrichten zu können.



Kapitel "Siebenunddreissig" - August 1992

Hoyerswerda, Mannheim- Schönau, Rostock- Lichtenhagen. Und immer wieder die Fragestellung, was ist praktisch konkret vor Ort nötig und möglich, um einen rassistischen Mob zu stoppen und warum gelingt das nicht. Und wie versteht man das, was sich dort entlädt, oder anders gesagt, wie hält man es in diesem Land mit dem Akteuren der Pogrome.



Kapitel "Achtunddreissig" - Mai 1993

Gentrifizierung ist noch nicht erfunden, aber in Kreuzberg findet sie statt. Da die Sache aber nicht so einfach gestrickt ist wie die mit dem "Schweinesystem", gestaltet sich der Widerstand schwieriger und am Ende ersetzt das "Myfest" die "Love Parade". Blieben noch einige Geschichten zu erzählen, wie von z.B. jener heldenhaften Organisation, die angetreten war, das alles nicht kampflos hinzunehmen: der KPD/RZ.





Kapitel "Vierzig" - August 1993

Das Meer und die "AA/BNull". Muss man erst mal in einem Satz bringen. Die "Antifaschistische Aktion/ Bundesweite Organisation (AA/BO)" entstand in Abgrenzung zu den zahlreichen "autonomen" Antifa Gruppen, die sich teilweise über das "Bundesweite Antifa Treffen (BAT)" vernetzten. Am bekanntesten war die "Autonome Antifa (M)" aus Göttingen, die sich anlässlich der jährlichen Demos zur Erinnerung an Conny Wessmann (s.u.) extrem militant gebärdete und doch zugleich dafür sorgte, dass das rebellische Studentenstädtchen Göttingen "befriedet" wurde. Mit der damaligen "jour fixe" Initiative in Berlin fing u.a. die Geschichte der "Antideutschen" an. Mit an Bord zahlreiche ehemalige Mitglieder des Kommunistischen Bunds. Wertmüller nervte schon in den Achtzigern auf autonomen Vollversammlungen mit billigen, abwegigen Provokationen, Elsässer war schon Narzist, bevor er nach rechts außen driftete.



Kapitel "Einundvierzig" - September 1993

Berlin und die Olympischen Spiele. Hat außer den Nationalsozialisten niemand hinbekommen. Hoffentlich bleibt das so.



Kapitel "Zweiundvierzig" - September 1994

Der tägliche Terror von Faschisten und Rassisten gegen alle, die "anders", also migrantisch, punkig, links oder einfach nur obdachlos sind, fordert Anfang der Neunziger in Deutschland viele Tote. In Berlin organisieren sich viele Jugendliche, vor allem aus der türkischen und kurdischen Community, in Gangs. "Antifa Genclik" ist ein Versuch, antifaschistische Organisierung mit genau jenen zusammen zu gestalten. Ralph Giordano, der von den Nationalsozialisten zum "jüdischen Mischling" erklärt worden war und versteckt im Keller eines Hamburger Mietshauses den Nationalsozialismus überlebt hatte, schreibt im November 1992 einen offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. In diesem erklärt er: "...dass nunmehr Juden in Deutschland, darunter auch ich, dazu übergegangen sind, die Abwehr von potentiellen Angriffen auf unsere Angehörige, und uns in die eigenen Hände zu nehmen, und zwar bis in den bewaffneten Selbstschutz hinein. Nie wieder werden wir Überlebende des Holocaust unseren Todfeinden wehrlos gegenüber stehen – niemals." Am Abend des 4. April 1992 isst Gerhard Kaindl zusammen mit anderen Faschisten in einem Restaurant am Kottbusser Damm in Neukölln. Ihre Anwesenheit bleibt nicht unentdeckt und es kommt zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit Antifas, dabei wird Kaindl durch einen Messerstich tödlich verletzt. Einundeinhalb Jahre später nehmen die Bullen mehrere Menschen wegen der Aktion fest. Die Frage, wie man sich zu der Aktion positioniert, führt zu heftigsten Streitereien in der radikalen Linken.



Kapitel "Dreiundvierzig" - April 1995

Ein Abschiebeknast fliegt beinahe in die Luft, bevor er nach Umbau in Betrieb genommen werden kann. Drei Menschen sind seitdem auf der Flucht, um nicht im Knast zu landen. Fast zwanzig Jahre später wird einer von ihnen in Venezuela festgenommen, aber (vorerst) nicht ausgeliefert.



Kapitel "Vierundvierzig" - August 1995

Rom. Ausflüge in die Geschichte.



Kapitel "Fünfundvierzig" - Dezember 2008

"Den Banken Geld, der Jugend Kugeln, es ist die Stunde gekommen, wo unsere Tage beginnen" (Eine Parole auf einer Demo von Schülern in Athen). Ein Bulle erschiesst einen fünfzehnjährigen Jungen mitten in Athen und eine Generation wacht auf. Die Innenstadt Athens steht am dritten Abend der folgenden Krawalle in Flammen und selbst in den kleinsten Orten auf den griechischen Inseln ziehen die Schüler mit Steinen und Molotows Cocktails vor die Polizeireviere. Innerhalb von nur drei Tagen entsteht ein Sachstanden von 100 Millionen Euro.



Kapitel "Sechsundvierzig" - P.S.

Ich möchte all jenen danken, die es ermöglicht haben, dass es diese zahlosen Texte und Filme gibt. Dass es Zeugnisse gibt, Spuren im Strand unter dem Pflaster, die nicht weggewischt werden können. Jede Revolte, jeder Aufstand kommt aus dem immer gleichen Impuls: Das ureigenste Bedürfnis des Herzens, die Welt nicht so hinzunehmen, wie wir sie vorfinden. Albert Camus sprach vom "Leben als Revolte", ein Bild, in dem sich viele, auch ich wiedergefunden haben. Wenn wir uns erinnern, unsere Geschichte aufschreiben, hinterlassen wir Nachrichten an die Welt, finden sich andere in unseren Kämpfen wieder, so wie ich mich in den Kämpfen anderer wiedergefunden habe. Es stimmt, die "Sieger schreiben die Geschichte". Aber wir können erinnern und ermuntern, dafür sorgen, dass unsere Kämpfe nicht vergessen werden. Deshalb an dieser Stelle ein letztes Verweis. Hans Magnus Enzensberger – "Der kurze Sommer der Anarchie" als PDF.: